Ein neues Bündnis tritt bei der Bundestagswahl an. Das Ziel: Grundeinkommen einführen. Mehr Parteiprogramm gibt es nicht. Reicht das? Ein Gespräch mit der stellvertretenden Vorsitzenden. (von)

„Mit dem Grundeinkommen würde ich mehr Risiken bei der Berufswahl eingehen“, sagt Cosima Kern. © privat

01. September 2017

Es sind hektische Wochen für die 23-jährige Cosima Kern. Bis zur Bundestagswahl am 24. September hat sie noch jede Menge Termine und Arbeit zu erledigen. Um sich vollständig der Politik zu widmen, hat sie ihre Bachelorarbeit erst mal auf Eis gelegt. Cosima studiert in Bayreuth Philosophie und Volkswirtschaftslehre und suchte nach einem Thema für ihre Abschlussarbeit. Jemand empfahl ihr, über das Grundeinkommen zu schreiben.

Dann bekam sie mit, dass sich eine Partei gründen wollte, deren Ziel es ist, das Grundeinkommen einzuführen. Sie fuhr zum Gründungstreffen des Bündnis Grundeinkommen nach München, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die sich ebenfalls intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. 

„Mir war klar, dass ich mich für dieses Projekt einsetzen möchte“, sagt sie. Nach ihrem Umzug nach Berlin bot sie sich als stellvertretende Parteivorsitzende an. Seit März 2017 hat sie diese Position in einer Partei mit 300 Mitgliedern, die alle nur ein Ziel haben: das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen.

ze.tt: Der einzige Programmpunkt, den ihr habt, ist das Grundeinkommen. Warum nicht mehr?

Cosima Kern: Wir treffen viele Leute, die uns sagen: ‚Ich gehe das erste Mal seit zehn Jahren wieder wählen. Weil ich das gut finde, wofür ihr euch einsetzt, weil ich weiß, wofür ihr steht, während es bei den etablierten Parteien oft ein Überraschungsei ist.‘ Wir haben diese Partei auch gegründet, weil es in Deutschland nicht die Möglichkeit einer Volksabstimmung gibt. Und um dieses Thema auf die politische Agenda zu bringen, war der beste Weg, eine Partei zu gründen, die man bei der Bundestagswahl wählen kann.

Warum soll ich nicht eine Partei wie die FDP oder die Grünen wählen, die auch Ansätze des Grundeinkommens in ihrem Programm haben und darüber hinaus auch noch eine Meinung zu TTIP oder Auslandseinsätzen der Bundeswehr?

Das liberale Bürgergeld der FDP ist an Bedingungen geknüpft, bei den Grünen bewegt sich nichts und bei der Linken ist die Parteispitze dagegen. Wir sind ja auch in Kontakt mit Personen in diesen Parteien, die sich für das Grundeinkommen einsetzen. Da ist viel Frust, weil sie immer wieder Versuche gestartet haben, die im Nichts gelandet sind. Sie wurden nicht wirklich gehört.

Habt ihr denn ein konkretes Ziel für die Bundestagswahl?

Unser erstes Ziel war es, in jedem Bundesland wählbar zu sein. Das war ein ziemlicher Kraftakt, aber wir haben es geschafft. Grundeinkommen ist bundesweit wählbar. Wir haben nicht sehr viel Geld, darum ist es schwierig, auf uns aufmerksam zu machen. Deshalb haben wir kein Ziel festgemacht. Gut wären aber mindestens 0,5 Prozent, weil wir dann in die Parteienfinanzierung reinkommen würden. Und mittelfristig wollen wir das bedingungslose Grundeinkommen in den Bundestag tragen.

[Außerdem auf ze.tt: Wie ein Leben mit bedingungslosem Grundeinkommen aussieht]

Wie genau soll denn das Grundeinkommen aussehen, das ihr einführen möchtet?

Es soll die Existenz sichern, ohne vorherige Bedarfsprüfung gezahlt werden, ohne Zwang zur Arbeit oder anderen Gegenleistungen ausbezahlt werden und es besteht ein individueller Rechtsanspruch.

Über die genaue Höhe des Einkommens kannst du nichts sagen?

Wichtig ist uns, dass es die Existenz sichert. Es wäre unglaubwürdig, wenn wir sagen würden, genau so soll es aussehen. Das ist so eine einschneidende Veränderung, die das jetzige Steuer– und Sozialsystem komplett ändern würde. Das sollte überparteilich in einer Enquetekommission diskutiert werden.

In meinen Augen wird das Grundeinkommen sowieso kommen.

Was macht so eine Enquetekommission?

Enquetekommissionen bereiten Entscheidungen zu umfangreichen Themen vor. Gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutieren Abgeordnete überparteilich über langfristige Fragestellungen. Ihre Ergebnisse, die in der Regel Empfehlungen für die Gesetzgebung beinhalten, präsentieren sie möglichst vor Ende der Legislaturperiode dem Parlament.

Alles was ich bekomme, wenn ich euch wähle, ist ein Enquetekommission, die über das Thema berät? Umsetzen sollen es dann die anderen Parteien?

Wenn sie es machen, ist es super, aber wenn nicht, machen wir es auch gerne selbst. Letztlich ist es ja so, dass wir hoffen, so viele Stimmen zu erhalten, dass die etablierten Parteien darauf aufmerksam werden und das Thema endlich ernsthaft aufgreifen. Das müssen ja nicht mal fünf Prozent sein. Das hat man bei den Piraten gesehen. Die hatten 1,8 Prozent, und danach hat sich Merkel ihrer Themen angenommen.

[Außerdem auf ze.tt: Bedingungsloses Grundeinkommen: Diese drei Modelle gibt es]

Denkst du, dass die Mehrheit der Deutschen für das Grundeinkommen ist?

Umfragen zufolge ist das längst so. Ich glaube jedoch auch, dass ganz viele Menschen noch gar nicht genau wissen, was das ist und wie es funktioniert. In meinen Augen wird das bedingungslose Grundeinkommen sowieso kommen, die wichtige Frage ist dann, wie es aussehen wird. Das wiederum wird maßgeblich davon abhängen, inwieweit wir uns alle gemeinsam darüber Gedanken machen, wie so eine Gesellschaft aussehen könnte. Darum wollen wir eine breite gesellschaftliche Diskussion über das Thema jetzt anstoßen.

Was sagen Sie Leuten, die meinen, dass niemand mehr arbeiten geht, wenn es ein Grundeinkommen gibt?

Die frage ich zuallererst, ob sie denn selber noch arbeiten gehen würden. Dann hört man meist, dass sie sehr wohl noch arbeiten gehen würden. Vielleicht etwas weniger, vielleicht etwas mehr, vielleicht etwas anders – aber die allermeisten haben ja Lust, sich in die Gesellschaft einzubringen und zu arbeiten. Übrigens werden in Deutschland schon heute deutlich mehr unbezahlte als bezahlte Arbeitsstunden geleistet.

Und wer macht dann noch die unangenehmen Jobs?

Was dem einen ein unangenehmer Job ist, gefällt dem anderen ganz gut. Es wird immer noch genügend Leute geben, die vermeintlich unangenehme Jobs machen. Und wenn es doch Probleme gibt, Leute dafür zu finden, muss man eben entsprechend die Löhne anheben die Müllabfuhr zum Beispiel zahlt sehr gut – oder die Arbeit automatisieren.

Die meisten Menschen werden nach wie vor arbeiten wollen.

Ein häufiges Argument gegen das Grundeinkommen ist Zuwanderung. Wie geht ihr damit um?

Das war ja auch in der Schweiz das häufigste Argument gegen das Grundeinkommen. Hier wird man sicher Regelungen finden müssen, etwa eine Kopplung an die bisherige Aufenthaltsdauer.

Wie soll das Grundeinkommen finanziert werden?

Es gibt mehrere Dutzend Modelle, die vorrechnen, dass das Grundeinkommen heute schon finanziert ist. Letztlich wäre aber natürlich eine Reform unseres Steuer- und Sozialsystems notwendig.  Dann ist die Frage: Welche Art von Steuern werden erhoben und wie hoch sollen sie sein? Es gibt zum Beispiel ein Modell, das von 25 Prozent Konsumsteuer und 25 Prozent Einkommensteuer ausgeht. Götz Werner [Gründer der Initiative Unternimm die Zukunft und von dm-Drogeriemarkt, Anm. d. Red.] fordert, Einkommen gar nicht mehr zu besteuern, sondern nur Konsum. Die Modellfrage wird in der Umsetzungsphase der Knackpunkt sein. Umso wichtiger, dass wir die Diskussion heute starten. 

Das Grundeinkommen fordert uns heraus, uns mit den größeren Fragen des Lebens auseinanderzusetzen.

Warum möchtest du persönlich das bedingungslose Grundeinkommen?

Ich mache mir keine Sorgen, dass ich ohne kein Einkommen hätte. Aber ich glaube, ich würde eher Risiken bei der Berufswahl eingehen, mutiger sein und mir Zeit lassen, um das zu finden, was ich gerne mache. Zudem glaube ich fest daran, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen uns als Gesellschaft stärkt. Uns ist wahrscheinlich noch gar nicht bewusst, inwieweit die Befreiung von Existenzangst dazu führen würde, dass sich unser Blick auf unsere Mitmenschen weiten würde, wir respektvoller und wertschätzender miteinander umgehen würden. Das bedingungslose Grundeinkommen vereint Freiheit und Solidarität.

Und was genau würdest du mit dem Grundeinkommen machen?

Das ist tatsächlich genau die Frage, die ich mir seit anderthalb Jahren stelle und ich bin immer noch am Ausprobieren und hier und da reinschnuppern. Es gibt verschiedene Bereiche, die ich spannend finde. Derzeit fasziniert mich die Auseinandersetzung mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, sowohl auf politischer als auch akademischer Ebene. Ich kann nur jeden ermuntern, sich diese zentrale Frage des bedingungslosen Grundeinkommens auch zu stellen: „Was würdest du tun, wenn für dein Grundeinkommen gesorgt wäre?“ Dabei zeigt sich, dass das bedingungslose Grundeinkommen keine Anstiftung zu Faulheit ist, im Gegenteil, es fordert uns viel mehr heraus, uns mit den größeren Fragen im Leben auseinanderzusetzen.