Aus sehr gutem Grund: Nichtwähler von

Unsere Wahldemokratie kommt gegen Lobbyismus und „Beamtenpest“ (Kurt Tucholsky) nicht an – Ein Kommentar

Originalbeitrag:

https://www.heise.de/tp/features/Aus-sehr-gutem-Grund-Nichtwaehler-3834637.html

Martin Schulz hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem zweiten „TV-Duell“ aufgefordert. Weil er beim ersten Versuch am 3. September nur lauwarme Luft ausgestoßen hat, wollte er es nochmal mit heißerer versuchen. Was ein Jammerlappen. Er möchte so gerne „Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland“ werden. Dumm nur, dass er kein Argument vortragen kann, warum man ihm diesen persönlichen Karrierewunsch erfüllen sollte.

Offenbar sagt ihm niemand deutlich genug, dass das „Regierungsprogramm“ seiner Partei für nichts anderes als lauwarme Luft gut ist. „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ hat die SPD ihre Versprechen (oder Drohungen, je nach Betrachter) überschrieben, du lieber Himmel. Aber was die Ungerechtigkeiten sind, die derzeit von der SPD-Mitregierung noch geduldet, nach dem 24. September aber konsequent beseitigt werden, steht in dem Geschwurbel natürlich nicht.

Die SPD will z.B. kein bedingungsloses Grundeinkommen, das alle staatlichen Gängelungen beenden würde, das tausende Ämter ebenso wie viele „sozialpolitische Entscheidungen“ überflüssig machen würde, das die Bürger aus der Verfügungsgewalt von Politik und Verwaltung befreien würde. Das geht nicht mit einer „Arbeiterpartei“, die gerne jeden Menschen nach langer Ausbildung und vor langer Rente in Demenz an einem definierten Arbeitsplatz sehen möchte, am Ort der wahren Bestimmung unserer Spezies.

Wer gute Arbeit hat, ist zufrieden. Und wer zufrieden ist und ohne existenzielle Sorgen, kann sich intensiv auf die Arbeit konzentrieren.

(Wahlprogramm der SPD 2017)

Natürlich ist die SPD mit diesem feudalistischen Herrschaftsverständnis nicht wählbar. Aber die erstmals antretende Ein-Themen-Partei Bündnis Grundeinkommen (BGE) ist es ebenso wenig. Denn für sie gibt es ja nur zwei Optionen: Die realistische ist, dass sie in der Bedeutungslosigkeit bleibt, vermutlich weit unter der 5%-Hürde.

Aber selbst wenn sie in den Bundestag kommen sollte: Man kann dort bekanntlich – Stichwort Linke – jahrelang sitzen, ohne parlamentarische Wirkung zu entfalten, schlicht weil einen die anderen nicht mitspielen lassen. Möglichkeit eins bedeutet daher, dass die Wahl des Bündnis Grundeinkommen wirkungslos ist. Die utopische zweite Variante wäre, BGE erringt die absolute Mehrheit, weil schließlich die meisten Wahlberechtigten für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen sind.

Doch selbst dann würde das Bündnis dieses eine Thema möglicherweise nicht umgesetzt bekommten weil Bundesrat, Ministerien und nachgeordnete Verwaltungen nicht mitspielen. Das viel größere Problem aber: Was passiert mit all den anderen Themen, die in den nächsten vier Jahren politisches Handeln erfordern? Da wären die Wähler mehr denn je einer ihnen völlig unbekannten Truppe ausgeliefert, die nur verspricht, „nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden“. Selbst als langjähriger Befürworter des Grundeinkommens kann ich daher die Grundeinkommenspartei auf keinen Fall wählen.

Mit dem Recht zum Volksentscheid hätten wir das Bedingungslose Grundeinkommen ratzfatz, aber dieses Recht verweigern uns die herrschenden Politiker (und würden sie es gewähren, dann nur eingeschränkt, z.B. mit dem berühmten „Budgetvorbehalt“ des Parlaments). Die SPD als Partei der Gerechtigkeit hat – auch seinerzeit mit den Grünen zusammen – noch nicht einmal ein bedingungsloses Bafög geschaffen, ein zeitlich befristetes Grundeinkommen für jeden, der sich wie auch immer bilden will und der es einfach über die Einkommenssteuer zurückzahlt, wenn er (wieder) Geld verdient (und wenn das nie der Fall ist: so what? Es wird weit Unsinnigeres subventioniert).

Kurz vor dem Wahltag wird die Aufforderung zur Wahlteilnahme gerade sehr penetrant. Und sie wird zunehmend mit dem Tadel verbunden, wir Bürger schätzten die Arbeit „unserer“ Politiker nicht hoch genug. Wahl- und Parteienkritiker werden wegen der ihnen attestierten „Politikerverachtung“ pauschal zu Anti-Demokraten.

Dabei kann sich über Politikerschelte nur echauffieren, wer den ganzen Tag mit genau diesen Politikern unter einer Miefglocke sitzt!

Ja, es geht vielen gut – wenn sie materiell gut bedacht sind wie angestellte Kommentatoren bei Presse und Rundfunk, und wenn sie selbstverliebt genug sind, ihre Welt für die einzig wahre zu halten, in die sie genau dosiert so viele und ausgesuchte Probleme hineinlassen, wie es zu ihrem Lifestyle passt. Dann twittert man täglich für die Freilassung Deniz Yücels und erregt sich innerhalb seiner Filterblase überlegen und stolz über ein paar AfD-Pappnasen, die es einem so einfach machen, das richtige Fähnchen zu schwenken, beim Nachmittags-Latte, vor dem Sushi, das während der Vernissage gereicht wird.

Wer aber zum Beispiel nicht die Inhaftierung eines ihm persönlich völlig unbekannten Journalisten in der Türkei, sondern die Abschiebung eines Freundes aus Deutschland zu beklagen hat, findet die Zustände in diesem Land gar nicht so großartig. Denn was viele Wahlaufrufer ob ihrer Geschäftigkeit für die Demokratie leider nicht mitbekommen haben: Nicht die AfD entsorgt nette Menschen, die zum Teil noch nie etwas anderes als Deutschland gesehen haben, ins Ausland – es ist die amtierende Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD (und beim Vollzug der Länder haben auch die Grünen ihre Hände mit im dreckigen Spiel – die Grünen, die nun in ihr Wahlprogramm geschrieben haben, sie stellten sich „gegen den an Zahlen ausgerichteten Abschiebepopulismus der Großen Koalition“).

Die derzeit 362 Kirchenasyle in Deutschland gewähren 558 Personen Schutz – nicht vor Gauland und Weidel, Petry und Meuthen, sondern vor Merkel und Gabriel!