Von Selina Thaler: Jeden Monat 1.000 Euro geschenkt. Einfach so. Das fordern die Anhänger des Grundeinkommens. Janice Frings, 20, bekommt es schon heute.

Dieser Text stammt aus dem ZEIT Campus Magazin 6/17. Das aktuelle Heft können Sie am Kiosk oder hier erwerben. Original-Online-Beitrag

Kurz vor Weihnachten sitzt Janice Frings in einer Vorlesung, als sie eine E-Mail bekommt, die ihr Leben verändert. Sie habe das bedingungslose Grundeinkommen gewonnen, heißt es da. Die heute Zwanzigjährige kann es nicht glauben: Sie soll ab Januar monatlich 1.000 Euro bekommen? Ohne Gegenleistung? Sie checkt den Absender: Es ist kein Fake.

Drei Jahre zuvor hatte Janice im Fernsehen einen Bericht über den Verein Mein Grundeinkommen gesehen: Per Crowdfunding sammelt dieser Geld. Immer, wenn dabei 12.000 Euro zusammenkommen, wird eine Person ausgelost, die ein Jahr lang 1.000 Euro pro Monat aufs Konto bekommt. Einfach so. Der Verein will zeigen, dass die Gesellschaft besser wäre, wenn niemand mehr ums Überleben kämpfen oder als Bittsteller zum Jobcenter gehen müsste. Stattdessen sollen alle monatlich 1.000 Euro Grundeinkommen vom Staat kriegen. Und solange der Staat kein Grundeinkommen zahlt, übernimmt es der Verein. Zumindest für einige wenige Menschen.

Was sie mit so viel Geld alles tun könnte, dachte Janice damals vor dem Fernseher: endlich den Führerschein machen und ihre Mutter unterstützen. Sie meldete sich bei Mein Grundeinkommen an und nahm drei Jahre lang an jeder Verlosung teil. Dann wurde im Dezember endlich ihre Losnummer gezogen.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist keine neue Idee: Schon vor 500 Jahren dachte der englische Philosoph Thomas Morus über eine Einkommensgarantie für jeden Bürger nach. Zur Umsetzung kam es nie. Stattdessen gibt es in Deutschland heute staatliche Unterstützung je nach Bedarf. Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern und einem Teilzeitjob bekommt je nach Situation etwa Unterhaltsvorschuss, Wohngeld oder Sozialhilfe. Auch Bafög ist eine Leistung nach Bedarf. Für Menschen, bei denen der Staat keinen Bedarf feststellen kann, gibt es auch kein Geld. Das wäre beim bedingungslosen Grundeinkommen anders. Denn das sollen alle Menschen gleich bekommen, egal ob sie Kinder haben, arbeiten gehen, reich sind oder arm.

Michael Bohmeyer, den Janice vor drei Jahren im Fernsehen gesehen hat, sitzt in Jogginghose auf dem Boden in seinem Büro in Berlin-Neukölln und trinkt Eistee aus dem Tetrapack. Ein Loft in einem alten Backsteingebäude, Start-up-Ästhetik mit einer violetten selbst gezimmerten Couch aus Industriepaletten. Der 32-Jährige ist der Gründer des Vereins Mein Grundeinkommen. Als er 2014, mit 29 Jahren, aus seinem Online-Shop ausstieg und einen monatlichen Gewinnanteil von 1.000 Euro erhielt, hätte er nicht mehr arbeiten müssen. „Ich dachte: Was, wenn es jedem so ginge wie mir? Was würde sich dadurch verändern?“ Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Binnen drei Wochen waren der Verein gegründet, die Website erstellt und die ersten 1.000 Euro ausbezahlt.

Michael Bohmeyer ist nicht der Einzige, den die Idee des Grundeinkommens fasziniert. Zu den Befürwortern zählen der Tesla-Chef Elon Musk und Mark Zuckerberg von Facebook. In Deutschland fordern es Götz Werner, der Gründer der Drogeriemarktkette dm, und Timotheus Höttges, der Chef der Telekom. Zur Bundestagswahl trat mit dem Bündnis Grundeinkommen eine Partei an, die dessen Einführung zum Programm machte.

Die Befürworter haben unterschiedliche Argumente, doch eines nennen sie alle: Früher oder später würden Roboter den Menschen die Arbeit abnehmen. Spätestens dann wäre ein Grundeinkommen nötig. In manchen Ländern laufen bereits Experimente, um die Auswirkungen des Grundeinkommens besser abschätzen zu können. Etwa in Finnland, wo seit Januar zufällig ausgewählte Arbeitslose für zwei Jahre vom Staat monatlich immerhin 560 Euro erhalten. Die Organisation Give Directly sichert seit Februar armen Einwohnern kenianischer Dörfer ein Grundeinkommen.

In Deutschland haben in den vergangenen drei Jahren mehr als 71.000 Menschen insgesamt über eine Million Euro an Mein Grundeinkommen gespendet und so 112 Personen das Grundeinkommen finanziert. Janice Frings war Nummer 68. An einem Spätsommertag sitzt die Kommunikationsstudentin auf den Stufen vor dem Aachener Dom und trinkt einen laktosefreien Java Chip Frappuccino von Starbucks. Ein kleiner Luxus, den sie sich früher nicht hätte leisten können. „Am Monatsende hatte ich meistens nur noch zehn Euro auf dem Konto“, sagt sie: „Ich konnte selten ausgehen und schrieb schlechte Noten, weil ich in der Prüfungszeit arbeiten musste.“

Das wurde durch das Grundeinkommen anders, das sie zusätzlich zu den staatlichen Leistungen bekommt. Janice hat deshalb monatlich 1.000 Euro plus 192 Euro Kindergeld. Und weil sie den Bafög-Antrag vor dem Gewinn des Grundeinkommens gestellt hat, bekommt sie 551 Euro obendrauf.

So viel Geld hatte sie noch nie: Ihre Mutter hat ihre Schwester und sie allein großgezogen, musste immer wieder zum Jobcenter und hatte Schulden. Der Vater zahlte keinen Unterhalt. Vergangenes Wintersemester gab sie ihrer Mutter monatlich 50 bis 100 Euro, sagt Janice, obwohl sie selbst nicht viel Geld zum Leben hatte. Seit dem Gewinn des Grundeinkommens sei es noch mehr. „Meine Mutter braucht das Geld mehr als ich“, sagt Janice.

Das Grundeinkommen ist kein Allheilmittel

„Ich musste erst lernen, mit dem Geld umzugehen“, sagt Janice. Mit den ersten tausend Euro gönnte sie sich im Februar Urlaub: Nach neun Jahren wollte sie mit ihrer Familie Verwandte auf den Philippinen besuchen und steuerte einiges zur Reise bei. Danach zog Janice von zu Hause aus und konnte ohne Probleme Kaution und Miete für das WG-Zimmer bezahlen. Sie jobbt seit Februar nicht mehr in einem Modeladen und muss trotzdem auf nichts verzichten: Im März fuhr sie zu Konzerten von Drake in Berlin und The Weeknd in Köln, und im April lud sie ihren Freund auf eine Reise nach Rom ein. „Wenn mir eine Bluse gefällt, kaufe ich sie“, sagt sie. Sie gebe jetzt auch mehr Geld für Lebensmittel aus und kaufe nicht mehr nur bei Discountern ein. „All das hätte ich davor niemals machen können“, sagt Janice.

Seit sie sich keine Gedanken mehr über Geld machen müsse, sei sie selbstsicherer und eigenständiger, erzählt Janice. Michael Bohmeyer, der mit seinem Verein für ihren Geldsegen verantwortlich ist, bezeichnet das als das „Grundeinkommensgefühl“. Die Leute seien aufgeblüht, könnten sich ohne Geldsorgen selbst verwirklichen, ihre Angehörigen pflegen und für ihre Kinder da sein, sagt er.

Die Kritiker des Grundeinkommens überzeugt das alles nicht. Eine der großen Gefahren sehen sie in der Auswirkung auf die Löhne. Karl Brenke etwa, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Er sagt: „Durch das Grundeinkommen müssten die Löhne für Tätigkeiten, die niemand gern macht, wie Toiletten putzen, steigen, um einen Anreiz zu schaffen, das überhaupt zu tun.“ In anderen Berufen, in denen Leute aus Überzeugung arbeiten, würden die Löhne hingegen sinken, sagt Brenke. Das führe dazu, dass der Niedriglohnsektor durch das Grundeinkommen größer werden würde.

Die andere Kritik betrifft die Finanzierung des Grundeinkommens. Das Jahreseinkommen von Janice kostet den Verein 12.000 Euro. Wie ließe sich ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle 83 Millionen Menschen finanzieren, die in Deutschland leben? Wenn jeder von ihnen monatlich 1.000 Euro bekäme, würde das rund eine Billion Euro pro Jahr kosten. Eine Billion, das sind tausend Milliarden, eine Eins mit zwölf Nullen.

Aber wo soll dieses Geld herkommen? Ein Teil könnte aus Sozialleistungen wie Hartz IV, Bafög oder Kindergeld bezahlt werden, die durch das Grundeinkommen wegfallen würden. Renten müssten anders als diese Leistungen jedoch bestehen bleiben, weil Arbeitnehmer jahrelang dafür eingezahlt und deshalb einen Anspruch darauf haben. In der Summe würden durch die Einsparungen deshalb gerade mal 130 Milliarden Euro zusammenkommen, sagt Ralf Krämer von der Gewerkschaft ver.di, der sich seit Jahren intensiv mit dem Grundeinkommen beschäftigt. Fehlen noch rund 870 Milliarden Euro.

Ein Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat müsste daher durch massive Steuererhöhungen finanziert werden, sagt der Ökonom Karl Brenke. Etwa indem man die Einkommen deutlich höher besteuert als heute. „Das schafft einen Anreiz für Schwarzarbeit“, sagt Brenke. Alternativ könnte man auch die Mehrwertsteuer erhöhen. Das würde jedoch arme Menschen und Normalverdiener stärker belasten als Reiche. Der Grund: Sie geben einen höheren Anteil ihres verfügbaren Geldes für Dinge des täglichen Bedarfs aus, die durch eine Mehrwertsteuererhöhung teurer würden. Das Grundeinkommen würde dann ausgerechnet denen schaden, die wenig haben.

Was aber, wenn man sich von dem Anspruch löst, jedem Menschen 1.000 Euro im Monat zu zahlen, und stattdessen nur das Geld neu verteilt, das zurzeit für Sozialleistungen verwendet wird? Was bliebe dann für jeden übrig? Weniger als die Hälfte dessen, was heute an Hartz-IV-Empfänger gezahlt wird. Das hat eine Berechnung der OECD im Mai ergeben. Das ist nicht genug, um damit Essen und Miete zu bezahlen, ganz zu schweigen von einem Studium. „Dass ein Grundeinkommen soziale Ungleichheit abschwächt, ist eine Illusion“, sagt deshalb der Ökonom Karl Brenke.

„Das Grundeinkommen ist kein Allheilmittel“, räumt Michael Bohmeyer vom Verein Mein Grundeinkommen ein. Er hat keine ausgeklügelten Finanzierungspläne, mit denen er die Berechnungen von ver.di und OECD kontern könnte. Trotzdem hält er an seiner Idee fest. Für ihn geht es vor allem um ein neues Verhältnis zur Arbeit. Er möchte, dass Menschen selbst entscheiden können, was sie mit ihrem Leben machen. Dass dann keiner mehr zur Arbeit gehen werde, wie manche Kritiker sagen, glaubt Michael Bohmeyer nicht. Studien geben ihm in diesem Punkt recht.

Auch Janice Frings, die Studentin aus Aachen, ist nicht faul, nur weil sie jetzt mehr Geld zur Verfügung hat. Seit sie nicht mehr in dem Modeladen jobbt, mache sie mehr für die Uni, sagt sie: „Ich kann viel entspannter lernen und mich besser konzentrieren.“ Vergangenes Wintersemester ist sie in drei von fünf Prüfungen durchgefallen, dieses Sommersemester bestand sie alle Prüfungen beim ersten Versuch und holte die verpatzten Klausuren nach.

Doch ihr Jahr ohne Sorgen ist bald vorbei. Für Janice geht es künftig wieder ums Geldverdienen. Im Dezember bekommt sie die letzte Überweisung von Mein Grundeinkommen, für die Zeit danach sucht sie bereits wieder einen Job. Damit sie weiter ihrer Mutter helfen kann. Und auch in Zukunft am Monatsende noch ausreichend Geld auf dem Konto hat.