Beim Sammeln der Unterschriften für die Wahlzulassung habe ich mit zahlreichen Menschen über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) gesprochen. Überraschend viele kannten die Idee. Manche waren skeptisch („Ich muss darüber noch nachdenken, deshalb kann ich das jetzt noch nicht unterschreiben“); manche lehnten die Idee rundweg ab („Nä! Auf gar keinen Fall! Da geht ja keiner mehr arbeiten!“); manche waren hellauf begeistert und zu allen Schandtaten bereit („Wo kann ich unterschreiben? Fürs Bedingungslose Grundeinkommen unterschreibe ich alles!“).

Warum schließt Ihr Euch nicht einer etablierten Partei an?

Ein Kritikpunkt vieler BGE-Befürworter an der Partei Bündnis Grundeinkommen kam häufig und ist beachtenswert: „Ich finde das bedingungslose Grundeinkommen gut, aber Ihr habt ja nur ein Thema! Das ist zu wenig. Warum schließt Ihr Euch nicht einer etablierten Partei an und überzeugt deren Mitglieder vom bedingungslosen Grundeinkommen?“

Die Frage ist berechtigt. Immerhin steht das BGE in unterschiedlichen Schattierungen im Programm der Piraten und der Partei, der Violetten, der Urbanen und der Humanisten; Nord-Jamaika hat dazu nebulöse Absichtserklärungen in den Koalitionsvertrag geschrieben; es gibt ein Grünes Netzwerk Grundeinkommen und prominente linke Befürworter wie Katja Kipping; ich habe sogar Sozialdemokraten getroffen, die sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark machen, obwohl die SPD aktuell der härteste Gegner eines BGE zu sein scheint.

Geistige Ödnis in den Parteiprogrammen

Schön und gut, aber ich bin nicht der einzige Vertreter von Bündnis Grundeinkommen und auch nicht der einzige Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens, der sich zum Beispiel mit der Linkspartei nicht identifizieren kann; oder klarer ausgedrückt: der sie niemals wählen würde. Es ist ein Irrglaube, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine linke Idee sei; in meinen Augen handelt es sich dabei viel eher um eine liberale Vision. Und obwohl die „Liberalen“ in ihrem aktuellen Programm einzelne schlaue Gedanken verkünden und sich seit der Bundestagswahl 2013 hoffentlich nicht nur visuell weiterentwickelt haben, macht mich das noch lange nicht zum Wähler oder Befürworter der FDP. Sie ist eben doch keine liberale, sondern eine wirtschaftsliberale Partei. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Darüber hinaus erwarte ich von den sogenannten etablierten Parteien in ihrem aktuellen Zustand keinen echten Wandel. Deutschland döst im Sommer 2017 so vor sich hin, der „Wahlkampf“ ist zum Gähnen. 16 Jahre hat es gedauert, bis die eingetragene Lebenspartnerschaft – eher zufällig – doch noch zur Ehe für alle weiterentwickelt wurde; und dabei handelt es sich nicht einmal um ein komplexes Thema. Glaubt man den Wahlprogrammen, wird es in allen Politikbereichen auch auf absehbare Zeit bei kosmetischen Veränderungen am Status quo bleiben: Hier ein bisschen weniger Steuern, dort ein winziges bisschen weniger unsichere Rente; hier kein oder kaum noch Soli mehr ab Zwanzigsonstnochwas, da etwas Breitbandausbau; und auch ansonsten verschwimmen die dürren Phrasen zu einem blassen Mausgrau. Eine große Vision oder Idee für unsere Zukunft sucht man vergebens, im Durchschnitt steht Never change a running system zwischen den Zeilen. Künstliche Intelligenz? Automatisierung? Konkurrenz aus dem Silicon Valley? Ja, da kommt ein bisschen was auf uns zu, aber Deutschland geht es doch gut. Läuft doch alles! Warum sollten wir da was ändern?

Weiter so! bringt uns nicht weiter

Diese Haltung ist gefährlich. Etwas mehr als Weiter so darf es dann doch sein, wenn selbst die Bundeskanzlerin vor dem Niedergang der deutschen Automobilindustrie warnt. Und das ist nur ein Beispiel. Niemand weiß heute, was Automatisierung oder Künstliche Intelligenz, ein Zusammenbruch der EU oder ein Anstieg der Leitzinsen mit unserer Lebens- und Arbeitswelt anstellen könnten. Vieles spricht dafür, dass der Status quo dann nicht mehr genügt, um einfach so weiterzumachen. In der Welt von morgen reichen Reaktionen nicht aus: Wir brauchen Visionen, und wir brauchen Menschen, die diese Visionen umsetzen.

Nicht rechts, nicht links, sondern vorwärts

Woran aber liegt es, dass von den Protagonisten der etablierten Parteien keine Veränderungen mehr zu erwarten sind, dass sie die sogenannte „Sprache der Menschen“ nicht mehr sprechen, dass sie sich in Mikromanagement verstricken, anstatt die Zukunft zu gestalten? Die Antworten auf diese Fragen sind sicher vielschichtig. Es scheint mir aber kein Zufall zu sein, dass die politischen Gewissheiten allerorten zusammenbrechen (siehe Macron vs. Le Pen, siehe Leave vs. Remain, siehe SPÖ und ÖVP via FPÖ). Und vielleicht ist der zuletzt so beliebte Satz „Ich bin nicht links und auch nicht rechts und auch nicht Mitte“ (Macron, Le Pen et al.) ein Zeichen dafür, dass die alten Muster nicht mehr greifen; vielleicht ist Universal Basic Income Is Neither Left Nor Right. It Is Forward“ ein Satz, den wir noch einmal genauer unter die Lupe nehmen sollten: Wenn wir zum Beispiel Yuval Noah Hararis Zukunftsvisionen aus seinem großartigen Werk Homo Deus ernst nehmen, müssen wir grundsätzlich neu denken; an links und rechts, an den maroden Sozialsystemen und überholten Wohlstandsmetriken (BIP) des 20. Jahrhunderts, am trägen, verfilzten Politikbetrieb der vergangenen Dekaden festzuhalten, passt einfach nicht mehr zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Gehört die Zukunft den Ein-Themen-Parteien?

In diese Lücke stößt die „Ein-Themen-Partei“ Bündnis Grundeinkommen. Sie rückt mit dem bedingungslosen Grundeinkommen eine echte Zukunftsvision in den Mittelpunkt. Aber das bedingungslose Grundeinkommen ist eben nicht nur „ein Thema“: Es stellt Fragen, die unser Leben verändern können („Was würdest Du tun, wenn für Deine Existenz gesorgt wäre?“); es bezieht sich auf nahezu alle Lebens- und Politikbereiche (Steuern, Rente, Gesundheit, Sozialpolitik, Arbeitsmarkt, Kultur, Bildung); und es ist der Ausgangspunkt für eine neue Form der Politik, die tatsächlich auf die Selbstbestimmung der Menschen setzt.

Und Bündnis Grundeinkommen ist eben nicht die klassische Partei, sondern ein Projekt; eine Bürgerbewegung in Parteiform, die sich gegründet hat, weil Volksabstimmungen über das bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland nicht möglich sind; aber angesichts der glasklaren Fokussierung vielleicht auch der Anstoß für eine neue Form der Politik, die zum 21. Jahrhundert passt — anstatt den ach so behaglichen Status quo um seiner selbst willen beizubehalten.

So betrachtet: Gehört die Politik der Zukunft vielleicht gerade den vermeintlichen Ein-Themen-Parteien — wenn sonst niemand diese Themen besetzt?

Originalbeitrag